Deutschlands Landkreise geben Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine Mitschuld am zögerlichen Impftempo: „Der Bund muss zuverlässiger mitteilen, wie viel Impfstoff von welchem Hersteller geliefert wird“, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Das muss besser werden, damit man vor Ort in den Impfzentren rechtzeitig weiß, in welcher Kalenderwoche wie viele Einheiten von welchem Produkt geliefert werden.“ Die Impfzentren seien nicht überall ausgelastet und könnten sehr viel mehr bewältigen.
Nur bei verlässlichen Informationen „kann verbindlich terminiert werden. Das erfolgt leider immer noch zu unzuverlässig und mitunter auch zu kurzfristig“, kritisierte Sager an die Adresse von Spahn. „Der Bund sollte sich deshalb auch gegenüber den Herstellern für zuverlässigere Lieferzusagen einsetzen und entsprechenden Druck machen. Das ist nichts, das wir hinnehmen sollten oder das sich irgendwie ,einruckelt‘.“
Es komme zudem vor, dass eine bestimmte Menge von einem Hersteller angekündigt werde, dann aber Dosen von einem anderen Hersteller geliefert würden, erläuterte Sager die Probleme in den 294 Landkreisen. „Die komplexe Impflogistik mit Terminvergabe, Abläufen usw. kann nicht gut damit umgehen, wenn am Mittwoch mitgeteilt wird, dass am Donnerstag nicht wie angekündigt 80.000 Dosen von Impfstoff A, sondern 50.000 Dosen von Impfstoff B geliefert werden“, monierte der Landkreistagspräsident. „Hier muss das Management vor allem des Bundes deutlich praxisnäher werden.“¹
Politik muss liefern
Deutschland ist coronamüde geworden. Über ein Jahr regiert das Virus nun schon das Leben im Land. Eine Besserung ist nicht in Sicht.
Im Gegenteil: Noch nie waren die Bedrohungsszenarien der Pandemie so dramatisch wie das, was der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun verkünden. Die dritte Corona-Welle mit dem noch weniger beherrschbaren britischen Virus und 100.000 Infektionen pro Tag rückt im April vor.
Die Wissenschaft hat de facto keine Antwort darauf. Alle Maßnahmen haben die Ansteckungsgefahr bislang zwar begrenzen können, nicht aber beherrschbar gemacht. Seit dieser Woche schlägt nun die Corona-Müdigkeit in offene Ablehnung der Regierungsmaßnahmen um. Die Menschen haben das Vertrauen in die Politik verloren. Das liegt auch an der schlechten Vorbereitung des Bundeskanzleramtes – eine Fehlsteuerung, die ihre Verlängerung in der Führungs- und Entscheidungsschwäche bei den Regierungschefs der Länder findet.
Die Ruhetage um Ostern waren falsch. Aus der Rücknahme dieses Schritts durch die Bundeskanzlerin allerdings das Ende der Bedrohungslage und eine größere Freigabe des Alltags abzuleiten, wie es das Saarland als einziges Bundesland verkündet und zahlreiche Innenstädte auch in Ostwestfalen-Lippe zur ihrer eigenen Rettung als Modellregion anstreben, ist falsch.
Testen und Impfen sind Schritte, die auf eine Beherrschung des Pandemierisikos hoffen lassen. Tests allein aber sind als Beglaubigung für eine Freiheitsoffensive in Innenstädten unzureichend. Auch Impfungen werden noch nicht die Sicherheit zur Freiheit der Reise geben. Ein Blick nach Großbritannien zeigt das: Bei den Anti-Corona-Impfungen liegen die Briten deutlich vor der Bundesrepublik – nach Mallorca in den Urlaub reisen ist ihnen aber streng verboten. Deutschland versucht es umgekehrt: Weniger Impfungen, aber mehr Mallorca-Reisen.
Das verstehe, wer will. In jedem Fall aber ist es ein Hinweis auf die aktuelle Schwäche der politischen Führung im Land. Das offenbart in erschreckender Weise Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Er begründet die künftigen Freiheiten dort u. a. damit, dass viele Menschen sich ohnehin nicht mehr an die Vorgaben halten. Wenn Politik dieses Eigenrecht der Straße zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht, offenbart sie fehlende Führung und eigenes Scheitern.
Die Politik muss liefern. Sie braucht dafür sicher einen neuen Vertrauensvorschuss. Aber die Menschen erwarten als Gegenleistung ein neues Konzept gegen ihre Corona-Müdigkeit und für eine Verbesserung ihrer Lage. Einsperren reicht nicht mehr. Das Surfen auf der dritten Viruswelle mit der Freigabe der Innenstädte allerdings auch nicht.²
¹Neue Osnabrücker Zeitung ²Thomas Seim – Neue Westfälische