Der Ausnahmezustand in Demokratien ist von seinem Wesen her gefährlich wie paradox: Sieht sich ein Staat, konkret deren Machthaber, in der Existenz akut bedroht, greift er auf judikativem oder exekutivem Wege die eigene Ordnung und Verfasstheit an, um sie zu schützen. Eine Ausweglosigkeit: Schritte, zur »Verteidigung« der Demokratie und des Rechtsstaats angewandt, sind die selben, die sie zerstören können.
Ausnahmen werden normal – Ende der trügerischen Normalität
In der Türkei stülpen Erdogan und seine regierende AKP gerade in atemberaubender Geschwindigkeit die Verfasstheit des Landes um, in Frankreich wird der Ausnahme- zum Dauerzustand. Ob nun ein Putsch oder Terror Staaten dazu treiben, rechtsstaatliche und demokratische Errungenschaften »zu ihrem Schutz« über Bord zu werfen – es sind auch Ergebnisse der alltäglichen Ausnahmezustände auf der Welt, die in Zeiten globaler Vernetzung auf Europa zurückstrahlen.
Europa und die westliche Hemisphäre als »Inseln der Seligen« mit ihren leidlich funktionierenden Demokratien – lange haben sie globalen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zugesehen, verdanken einem schrankenlosen Kapitalismus einen Teil ihres Wohlstands. Jetzt kommen die Folgen mit Macht zurück. Mit Mitteln des Rechtsstaats scheinen sich viele Staaten im Innern wie nach außen ihrer nicht mehr erwehren zu können – oder zu wollen. Ein historischer wie geografischer Ausnahmezustand, die Abwesenheit ebenjenes, endet gerade. Während trügerische Annahmen zur Normalität schwinden. neues deutschland
An die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit müsse man erinnern, sagte Regierungssprecher Seibert zur Situation in der Türkei. Außenminister Steinmeier stellte fest, der versuchte Putsch ziehe „tiefe Spuren durch Politik und Gesellschaft in der Türkei“.
Es sei wichtig, an die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu erinnern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert zur Situation in der Türkei.
Dort gebe es viele Festnahmen, Entlassungen, repressive Maßnahmen in den Streitkräften, der öffentlichen Verwaltung und in der Wissenschaft, so Seibert in der Regierungspressekonferenz am Freitag. „Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, dass die türkische Regierung den Notstand für drei Monate ausgerufen hat.“
Steinmeier: Beweise statt Mutmaßungen nötig
Am Mittwochabend hatte die türkische Regierung den Notstand verhängt – umgangssprachlich ist häufig auch vom Ausnahmezustand die Rede. Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte sich am Donnerstag zur Situation in der Türkei. Es werde einmal mehr deutlich, so Steinmeier, der versuchte Putsch ziehe „tiefe Spuren durch Politik und Gesellschaft in der Türkei“.
Dennoch blieben die Haltung Deutschlands und die Erwartungen an die Türkei bestehen. „Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müssen Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben“, forderte Steinmeier. Nur die belegbare Verwicklung in strafbare Handlungen, nicht die mutmaßliche politische Gesinnung dürfe Auslöser staatlicher Maßnahmen sein.
Der Minister mahnte, dass der Notstand „auf die unbedingt notwendige Dauer beschränkt und dann unverzüglich beendet wird.“ Dies sei wesentlich und liege auch im Interesse der Türkei selbst. „Alles andere würde das Land zerreißen und die Türkei schwächen, nach innen wie nach außen.“
Merkel: Bürgerrechte achten
Vor Bekanntwerden der jüngsten Entscheidung des türkischen Präsidenten Erdogan hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Rande ihres Gesprächs mit der britischen Premierministerin (20. Juli) daran erinnert, es gebe bereits „sehr deutliche Kritik“ an den Vorgängen in der Türkei. „Gerade die Menschen, die sich in der Nacht des Putsches gegen diesen Putsch gewendet haben, haben nach meiner Auffassung ein Recht darauf, dass jetzt auch ihre Rechte geachtet werden“, sagte die Kanzlerin.
Es seien viele Menschen gewesen, die sich am Wochenende gegen den Militärputsch gestellt hätten. „Deshalb werden wir die Dinge mit großer Sorge betrachten“, so Merkel. Sie habe ihre Sorgen gegenüber dem türkischen Präsidenten bereits am Montag telefonisch zum Ausdruck gebracht.
EU-Mitgliedschaft nur mit demokratischer Rechtsordnung
Im Rahmen der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei spielen Fragen der Rechtsstaatlichkeit eine zentrale Rolle. Bisher wurden die Verhandlungen ergebnisoffen geführt. Ein Beitritt in die EU wäre jedoch nur möglich, wenn sämtliche Verpflichtungen erfüllt werden, einschließlich des Grundrechtschutzes. Regierungssprecher Seibert machte auch klar, dass gegenwärtig aus Sicht der Bundesregierung die Öffnung eines weiteren Kapitels in den Beitrittsverhandlungen nicht vorstellbar sei. Deutsche Bundesregierung
Über 10.000 Festnahmen nach Putschversuch in der Türkei – Ausreisekontrollen verschärft